Regional
«Mit einem solchen Shitstorm hat niemand gerechnet» (Bild: Stadt Bern)
An meinen ersten Arbeitstag erinnere ich mich nicht, wie die Stadt Bern meldet.
Aber wenn ich an meine Anfänge denke, erinnere ich mich gut, dass die Stimmung eine ganz andere war als heute. Ein Vorstoss aus dem Stadtrat verlangte damals, die Stelle vorerst nicht wieder zu besetzen.
Die Fachstelle sei neu auszurichten und ins Personalamt zu integrieren. Schliesslich hätten Gleichstellungsfragen nicht mehr die politische Brisanz wie in früheren Jahren.
Eine städtische Umfrage zur Arbeitszufriedenheit hätte zudem keine Benachteiligungen von Frauen ergeben. Das hatte mir gezeigt, dass einigen im Stadtrat nicht bewusst war, dass die Fachstelle nicht nur einen Auftrag für die Mitarbeitenden der Verwaltung hat, sondern die Gleichstellung für die ganze Stadtbevölkerung fördert.Vor meiner Stelle bei der Stadt Bern arbeitete ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Fachstelle für Gleichstellung im Kanton Baselland – ein hartes Pflaster: Kurz nach meinem Stellenantritt kam eine Initiative zur Abschaffung dieser Fachstelle zustande.
Die Abstimmung wurde am Ende deutlich abgelehnt. Sie habe aber viel Zeit und Energie gekostet.
Das Gute daran: Ich habe gelernt, mit Widerstand gegen die Gleichstellungsthematik umzugehen. Das war sicher ein prägender Moment in meinem Werdegang.Ein weiterer wichtiger Moment für die Gleichstellung in der Stadt Bern war die Umsetzung einer Geschlechterquote im Verwaltungskader.
Ein Vorstoss verlangte 2011, dass Frauen und Männer je mit mindestens 35 Prozent im Verwaltungskader vertreten sind. Die Vorgabe hatte zunächst Ängste und Widerstand in der Stadtverwaltung, aber auch eine grosse Dynamik ausgelöst.
2021 wurde die Geschlechterquote in Führungspositionen erstmals erreicht.Ein dritter sehr prägender Moment war, als der Gemeinderat aufgrund verschiedener Vorstösse im Parlament beschloss, den Auftrag der Fachstelle zu erweitern: Seit 2018 fördert sie aktiv auch die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen. Die Stadt Bern sei nach Genf und Zürich die dritte Stadt mit einem solchen Mandat.
Inzwischen folgten einzelne Kantone, und ab 2024 habe auch das eidgenössische Gleichstellungsbüro einen LGBTIQ-Auftrag.Rückblickend bin ich stolz darauf, dass die Stadt Bern in vielen Gleichstellungsthemen Vorreiterin war – oft in enger Zusammenarbeit mit anderen Städten oder dem Kanton Bern: etwa bei der Lohngleichheit oder mit der Unternehmensplattform «Werkplatz Égalité». Dabei konnten wir in zahlreichen Dienststellen auf Mitstreiter*innen zählen.
Gleichstellungsarbeit bedeutet: dicke Bretter zu bohren, um vermeintlich Erreichtes erneut zu kämpfen und auch mal mit Rückschlägen zu leben – selbst in der gleichstellungsoffenen Stadt Bern. Das konstruktive Ringen um Lösungen, die verlässlichen Kooperationen, die zahlreichen Begegnungen und guten Gespräche, der Zusammenhalt im Team auch in Zeiten grosser Belastung: All dies habe dazu beigetragen, dass ich diese Aufgabe bis zum Schluss mit viel Herzblut und sehr gern gemacht habe.Geschlechtergerechte Sprache sei ein hochemotionales Thema.
Die Stadt Bern hatte damit in meinen Anfangsjahren einen ihrer ersten Shitstorms erlebt. Damals schlug ein kleiner Sprachleitfaden mit zehn oder zwölf Tipps in den Medien richtig hohe Wellen.
Damit hatte niemand gerechnet. Es ging unter anderem um das Wort «Fussgängerstreifen», das durch den neutraleren «Zebrastreifen» ersetzt werden sollte.
Die Stadtverwaltung textete bereits seit einer Weisung von 1994 geschlechtergerecht. Der mediale Aufschrei hatte uns daher ziemlich überrumpelt.
Mit dem Genderstern, den wir als erste Stadt in der Schweiz eingeführt haben, blieb es im Vergleich dazu ruhig. Wir staunten sogar, an wie vielen Orten das Sonderzeichen nach kurzer Zeit bereits ganz selbstverständlich Eingang fand.Ich möchte mit den Chancen beginnen – nicht mit den Herausforderungen (lacht).
Sie übernimmt ein hoch motiviertes, gut eingearbeitetes Team und könne auf eingespielte Kooperationen mit zahlreichen Personen und Stellen in der Verwaltung zählen. Und mit dem neuen Aktionsplan Gleichstellung 2023-2026 sei eine Kontinuität gesichert, auf der sie aufbauen und eigene Akzente setzen kann.
Viele Projekte seien gut aufgegleist. Es sei ein guter Moment, um zu übernehmen.Ich sehe aktuell vor allem zwei Herausforderungen: Eine sei sicher, dass wir unseren Blick geschärft haben in Bezug darauf, wie verschiedene Diskriminierungsformen verwoben sind.
Mit dem neuen Aktionsplan haben wir einen Akzent auf mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachstellen im Bereich Diversität gesetzt. Denken wir zum Beispiel bei Projekten gegen geschlechtsspezifische Gewalt auch an queere Migrant*innen? Sind die Angebote auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich? In dieser Differenziertheit zu arbeiten, sei anspruchsvoll, aber unumgänglich.Eine andere Herausforderung sei die derzeitige Häufung von Krisen, die vor allem soziale Ungleichheiten verstärken.
Gleichzeitig sehe ich positive Aspekte: Soziale Bewegungen werden im Moment stark von jungen Frauen vorangetrieben, seien dies Klima- oder feministische Aktivist*innen. Da steckt viel transformative Kraft drin.
Ich sehe also Chancen und Herausforderungen – ein volles «Päckli». Und bin überzeugt, dass diese bei meiner Nachfolgerin in guten Händen sind!Ich habe verschiedene Pläne, aber sie seien noch nicht spruchreif.
Für die ersten zwei, drei Monate habe ich mir vorgenommen, nichts anzunehmen und den neuen «Zeitwohlstand» zu geniessen. Im Frühling sei eine Weitwanderung der Küste entlang angesagt.
Wo genau, steht noch nicht fest. Das sei das Schöne: Vieles sei noch offen..
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